“Spielbericht Fulda 2012, oder: Balancing verhindert Abenteuer”

Eine Frage vom Nutzer Celestine im Tanelorn nach ausgewogenen Kämpfen im Rollenspiel bringt mich nun dazu, endlich einen (unzulässig zusammengekürzten) Spielbericht über unser Treffen in Fulda, das Petite Assemblée 2012 zu schreiben. Die Frage lautete:

Kennt ihr eigendlich gute Richtlinien, wie man die Kämpfe in einem Abenteuer anständig gewichtet und wie das den Stil des Abenteuers bestimmt oder sich ihm anpasst ( Hofintrige, Dungeoncrawl etc.)? (Quelle)

Und daher möchte ich mich im Wesentlichen auf die spektakulären Kämpfe dieser Spielrunde konzentrieren. Das war so:

1. Berlin, vor dem Fall der Mauer

Gegeben wurde Palladium, Ninjas & Superspies/Heroes Unlimited. Die Gruppe bestand aus acht sehr unterschiedlichen Charakteren, die sich aus unterschiedlichen Gründen in West-Berlin aufhielten. Mein Charakter beispielsweise, ein junger Arzt mit Schwerpunkt Neurowissenschaften, Mathematik und (hä?) plastische Chirurgie war aus Heidelberg mit dem Ziel aufgebrochen, als Projektleiter an der Uniklinik einen Großrechner zu besorgen und große Forschungsprojekte damit zu starten.
Über kurz oder lang führten widrige Umstände dazu, dass alle Charaktere gemeinsam der Gruppe Torchwood angehörten, die aus dem von den Engländern kontrollierten Gebieten operierte. Unser Ziel: Alles irgendwie Außerirdische einsammeln und unschädlich machen, und unser erstes Rätsel war eine tote Riesenfliege mit unge­wöhnlichen Beißwerkzeugen. Eine Spur führte zu den Hinterlassenschaften des Teilnehmers einer Antarktis-Expedition vor vielen Jahren (30?), die offenbar auch von den Russen verfolgt wurde. Es gab:

  • eine Verfolgungsjagd, die in einem blöden Unfall endete
  • einen Kampf gegen Riesenfliegen und Männer mit Gaswaffen, die einen Menschen sofort auflösen konnten
  • eine Begegnung mit einem Quasi-Unsichtbaren, der psionisches Papier besaß

Kampf um Alien-Technologie

Der Kampf um die Alien-Technologie

Eine weitere Spur führte schließlich zu einem Chemie­konzern, genauer: Einem verschlossenen Zugang unter das Werksgelände in einem Spreekanal. Wir ahnten, dass dort die Riesenfliegen gezüchtet wurden und bewaff­neten uns und alle für Torchwood verfügbaren Soldaten bis an die Zähne, um dann mit Motorbooten eine Nacht­aktion zu starten. Denn mittlerweile war ein Boot der Russen aus Tschechien unterwegs, wahr­scheinlich mit dem Ziel, Alien-Technologie zu bergen.

Der Gruppe gehörte auch Sergeant (?) Ian McKimble an, ein ungehobelter Klotz, Waffennarr und Mann fürs ausgesprochen Grobe. Ihm unterstanden die Soldaten, die die erste Angriffswelle bildeten. Die Schleuse zur Fabrik wurde aufgesprengt und wir Spieler übernahmen jeweils einen Soldaten, damit wir was zu tun hatten, während unsere Charaktere im zweiten Boot nachkamen. In der Fabrikhalle erwarteten uns ein paar Leute, eine sehr große Maschine und – drei Meter große, weiße Mäuse, die leuchtende Stäbe aus der Maschine wuchteten. Wir zögerten nicht lange und eröffneten das Feuer auf diese Monstrositäten, aber selbst ein konzentriertes Dauerfeuer konnte die Biester nicht ausschalten. Im Gegenteil, die Mäuse waren im Handumdrehen bei den Soldaten angelangt und erlegten mit jedem Angriff einen von uns. Mit Ausnahme von McKimble, der tatsächlich einen Angriff überlebte. Ein zweiter Angriff allerdings ließ auch ihn zu Boden gehen, was einen der noch lebendigen Soldaten aus der Fassung brachte: Er warf eine Granate auf die Maus, die den zähen McKimble gerade eben gefällt hatte. Er warf daneben und die Granate landete nach penibler Anwendung der Regeln für Fehlwürfe genau auf McKimble. Was dem wohl nicht mehr viel ausmachte, aber.

McKimble, und das wusste niemand außer dem Spieler und dem Spielleiter, hatte sich vor der Aktion mit vier Kilogramm C4 eingedeckt und die Zünder scharf geschaltet. Als also nun die Granate auf ihm detonierte, ging das gesamte C4 hoch. Das war ein Hallo! Die Soldaten waren tot. Und die Mäuse. Und alle Charaktere bis auf unseren Torchwood-Anführer, der wegen des Autounfalls und anderer Unannehmlich­keiten im Krankenhaus lag.

2. Antarktis-Expedition

Als nächstes erstellten wir uns Charaktere für eine militärische Expedition in die Antarktis, um die Vorkommnisse vor 30 Jahren zu klären, die der Auslöser für die jüngsten Ereignisse waren. Wir fanden ein altes Lager und einen Plan, der den Niedergang eines Objekts vom Himmel kennzeichnete. Nach Berechnung der Landestelle und der Gletschergeschwindigkeit wurde klar, dass was immer hier runtergekommen war, mittlerweile im Meer lag. Natürlich waren auch schon wieder die Russen unterwegs, diesmal mit einem verdammten Atom-U-Boot.

Der Kampf gegen den Dalek

Der Kampf gegen den Dalek

Wir fanden jedenfalls eine Stelle, an der der Funk massiv gestört wurde und bargen ein fliegende Untertasse, indem wir Luft hineinpressten, bis sie schwamm. Im inneren fanden wir einen Dalek, den unser Schlaumeier-Anführer natürlich antatschen musste. Da er im Spiel­verlauf aber bereits Alientechnologie berührt hatte, starb er nicht sofort (Daleks sind wirklich schlimme Biester). Dafür erwachte nun der Dalek und begann, uns umzubringen. Irgendein geistes­gegen­wärtiger Soldat hatte eine Sprenggranate am Dalek befestigt, die ein Loch in den Panzer riss und ein anderer geistesgegenwärtiger Soldat schaffte es, einen Brandsatz durch das Loch zu werfen, und so töteten wir einen Dalek. Danach detonierte das UFO, zwar wieder weit unter Wasser, aber die Strahlung dürfte alle Anwesenden in den nächsten Tagen umgebracht haben, also hakten wir auch diese Charaktere ab.

3. Fazit

d30 roll critical success

Ein wirklich kritischer Erfolg

Neulich bei D&D tappte meine Gruppe in eine ausgemacht fiese Troll-Falle in Ebene zwei im Tempel der Rûna. Es sah schon ausgesprochen schlecht um die Gruppe aus, als die Hexe ihren zauberspeichernden Dolch nutzte, um einen sengenden Strahl auszulösen, der beide Trolle traf. Da wir mit der d30 rule spielen, nutzte die Spielerin die Gelegenheit und tauschte einen der vier W6 gegen einen W30 und rettete den Abend und das Leben ihrer Kameraden.

Alle diese verrückten und manchmal unmöglich zu lösenden Situationen entstanden nur, weil der Spielleiter beim Entwurf der jeweiligen Situation nicht versuchte, die Kräfteverhältnisse auszubalancieren. Beim Entwurf von Abenteuern und Kampagnen­welten lasse ich mich von meinen Inspirationen leiten. Das eine führt zum anderen, Dinge fügen sich zusammen und so besteht immer die Möglichkeit, dass sehr einfache oder eben auch sehr schwierige Herausforderungen entstehen. Ich bin überzeugt, dass dies meine Kampagnenwelt (und die vieler anderer Spielleiter) zu einer unberechenbaren, abenteuerlichen und spannenden Umgebung für die Spieler und ihre Charaktere macht. Ein Charaktertod ist nicht das Ende der Geschichte, sondern das Ende eines Kapitels. Und ein knapp errungener Sieg fühlt sich für mich viel größer an als einer von vier regulären Encountern pro Abend.

Veröffentlicht am 9. Mai 2013, 8 Kommentare

Kommentare:

  • Jan sagt:

    Durchaus ein interessanter Artikel, der vermutlich auch die Frage beantwortet, bei mir aber eine Frage zurücklässt: Was hat er mit dem zweiten Teil der Überschrift zu tun? Der Teil mit dem Balancing.

  • greifenklaue sagt:

    Die Aussage ist ja wohl: Mit Balancing wären diese Begegnungen wohl nicht zustande gekommen.

  • Benjamin sagt:

    Ja genau. Entweder sind die Kämpfe „mathematisch“ gewichtet, dann geht es vielleicht darum, den Knackpunkt des Gegner möglichst früh zu erkennen, oder der Spielleiter balanciert während des Kampfes, dann sind dieselben plötzlich bedeutungslos. Aber wirklich markerschütternde Konfliktsituationen funktionieren nach meiner Erfahrung jenseits jeder Balance.

  • greifenklaue sagt:

    Ja, da ist was dran.

  • Settembrini sagt:

    Die Strahlung habe ich nachgeschlagen, habt ihr alle ohne belibenden Schäden überstanden!
    Die Palladiumregeln sind sehr milde, was Atomwaffen angeht. Bei C4-Detonationen sind die etwas strenger o_0!

  • Jan sagt:

    Halte ich für eine (leichte) Begriffsverwirrung. Balancing heißt zunächst einmal nur, dass zwei Charaktere der Stufe x und ein Monster mit Grad x eine zueinander ausgewogene Stärke haben. Das sagt aber nichts darüber aus, dass man ausschließlich Begegnungen der Stufe der Gruppe haben muss. Es sagt nur aus, dass man das überhaupt machen KANN.

  • Benjamin sagt:

    Naja, angewandtes Balancing halt. =)

  • Settembrini sagt:

    Der Kampf um das Balancing als neutraler Begriff ist verloren. und zwar seit 4E! Vertrau mir, ich habe den Kampf persönlich geführt: Balancing im Ohr der real existierenden Rollenspieler führt zur Idiotie.